Wer in Deutschland klagt
oder auch verklagt wird, hat nur unter engen Voraussetzungen Zugang zu bei dem
Gegner befindlichen Dokumenten. Zwar kann das Gericht gemäß § 142 Zivilprozessordnung
anordnen, dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz
befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen vorlegt. Diese Vorschrift
befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, jedoch nicht von ihrer
Darlegungs- und Substantiierungslast. Das Gericht darf daher die Vorlegung von
Urkunden nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen
Vortrags der Partei anordnen und nicht zum Zwecke der Informationsgewinnung (Bundesgerichtshof
BGHZ 173, 23 (32)). Ferner darf das Gericht einer Urkunde nichts entnehmen, was
von den Parteien im Prozess noch nicht vorgetragen worden ist (Bundesgerichtshof
BeckRS 2014, 13725). Die Partei, die die Vorlage eines Dokuments erstrebt, muss
also schon vorher deren Inhalt kennen. Nur insoweit kann dieses Dokument als
Beweismittel dienen.
Eine „fishing expedition“
wie im US-amerikanischen Prozessrecht, bei der eine Partei die Vorlegung von
Urkunden erzwingen kann, ohne deren Inhalt zu kennen, ist dem deutschem Recht
fremd. Von diesem großzügigen (oder je nach Sichtweise maßlosen) Recht kann jedoch
auch Gebrauch machen, wer Partei eines Rechtsstreits in Deutschland ist. Nach
28 U.S.C § 1782 des US-amerikanischen Bundesrechts können amerikanische
District Courts Personen innerhalb ihres Gerichtsbezirks zwingen, Aussagen zu
tätigen, Erklärungen abzugeben oder Unterlagen und Sachen zur Verwendung in
einem ausländischen Rechtsstreit vorzulegen. Hierfür reicht es schon aus, dass
diese Person im Bezirk des District Courts angetroffen wird, sie muss dort also
nicht wohnhaft sein. Es ist auch nicht erforderlich, dass ein Rechtsstreit im
Ausland bereits eingeleitet wurde. Ferner muss für eine solche Anordnung auch kein
Antrag eines deutschen Gerichts vorliegen. Antragsberechtigt sind auch Parteien
eines gegenwärtigen oder auch nur zukünftigen ausländischen Rechtsstreits.
Der Supreme Court der USA
hat in einem sog. obiter dictum, also einer Anmerkung ohne Bindungswirkung, in dem
Verfahren INTEL CORP.v. ADVANCED MICRO DEVICES, INC542 U.S. 241 (2004) jedoch vier
zusätzliche Voraussetzungen aufgestellt, an denen sich die meisten Gerichte
orientieren:
1. Die natürliche oder juristische Person, von der Dokumente
oder Auskünfte verlangt werden, unterliegt nicht dem Zugriff des ausländischen
Gerichts. Der Supreme Court argumentiert, dass es in diesen Fällen der Hilfe
von US-Gerichten nicht bedarf, da das ausländische Gericht selbst solche
Anordnungen treffen könnte.
2. Die erlangten Beweismittel werden vom ausländischen
Gericht anerkannt.
3. Das Ersuchen von Hilfe durch die US-Gerichte ist keine unzulässige
Umgehung von ausländischen Beweiserhebungsverboten oder anderen Regelungen. Der
Supreme Court hat in diesem Urteil jedoch ausdrücklich erklärt, dass eine
Beweiserhebung in den USA nicht bereits dadurch ausgeschlossen ist, dass die
Rechtsordnung des ausländischen Gerichts eine Discovery nicht kennt. Das
US-Gericht muss sich also nicht daran orientieren, ob das ausländische Gericht
die Erhebung von Beweisen angeordnet hätte, wenn es hierauf Zugriff hätte.
4. Das US-Gericht kann unangemessen weitgehende oder
aufwendige Beweisanträge ablehnen oder einschränken.
Die derart mit Hilfe der
US-Gerichte erlangten Beweismittel sind von deutschen Gerichten grundsätzlich auch
als Beweis im deutschen Rechtsstreit anzuerkennen. Anders als bei einem von
US-Gerichten zuerkannten Strafschadensersatz, sog. punitive damages, verstoßen
Beweiserhebungen nach US-amerikanischem Recht nicht gegen unverzichtbare
Grundlagen des deutschen Rechts (BGH NJW 1992, 3096, 3099). Ob eine Verwertung
als Beweis im deutschen Rechtsstreit unzulässig ist, muss daher im Einzelfall
entschieden werden. Hierbei ist zu beachten, dass für das deutsche Recht unerheblich
ist, wie die Beweise erlangt wurden. Einen Beweis darf das Gericht nur dann
nicht verwerten, wenn es hierdurch in die Rechte anderer eingreifen würde. Selbst
durch Straftaten erlangte Beweise muss das Gericht grundsätzlich verwerten. So sind
gestohlene Dokumente vom Gericht grundsätzlich als Beweismittel zuzulassen, da
in der Verwertung als Beweis keine Verletzung des Eigentumsrechts liegt (BAG,
NJW 2003, 1204, 1206). Ein Beweismittel ist erst dann zurückzuweisen, wenn
durch dessen Verwertung in die Rechte anderer eingegriffen würd. So darf ein
heimlich aufgenommenes Telefongespräch nicht als Beweis verwertet werden. Das
Gericht würde in diesem Fall das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgehörten
verletzen. Dieses schützt nicht nur davor, abgehört zu werden, sondern auch
davor, dass derart erlangte Aufnahmen verwendet werden.
Mit Hilfe von US-Gerichten
erlangte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einer Partei oder eines Dritten
darf das deutsche Gericht dann nicht verwerten, wenn es ansonsten dessen
Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzen würde. Dabei ist zu beachten, dass
dieses Recht nicht nur natürlichen sondern auch juristischen Personen zusteht
wie z.B. GmbHs.
Ungeklärt ist die Frage,
ob auch für Verfahren vor privaten Schiedsgerichten Beweismittel unter
Zuhilfenahme von 28 U.S.C § 1782 erlangt werden können. Die
US-Berufungsgerichte sind hier unterschiedlicher Auffassung. So verneint der
für Connecticut, New York und Vermont zuständige Court of Appeals for the 2nd
Circuit sowie der für Louisiana, Mississippi und Texas zuständige Court of
Appeals for the Fifth Circuit die Anwendung auf Verfahren vor ausländischen
Schiedsgerichten (NBC v. Bear Stearns & Co., 165 F.3d 184 (2d Cir. 1999); Republic
of Kazakhstan v. Biedermann Int’l, 168 F.3d 880 (5th Cir. 1999)).
Unklar ist die Auffassung
des für Alabama, Florida und Georgia zuständigen United States Court of Appeals
for the Eleventh Circuit. Ursprünglich hatte das Gericht geurteilt, dass
Schiedsverfahren (Arbitration) unter die Formulierung “foreign or international
tribunal”; in 28 U.S.C § 1782 fallen (Consorcio Ecuatoriano de
Telecomunicaciones S.A. v. JAS Forwarding (USA), Inc., No. 11-12897, 2012 WL
2369166 (11th Cir. 2012) (CONECEL II). Folglich könnten auch im Fall von
Schiedsgerichtsverfahren Beweise durch Anordnungen von US Gerichten gemäß 28
U.S.C § 1782 erlangt werden. Im gleichen Rechtsstreit hat das Gericht jedoch
später seine Entscheidung auf eine andere Begründung gestützt, ohne die Frage
zu behandeln, ob Schiedsverfahren (Arbitration) unter die Formulierung “foreign
or international tribunal” fallen (Consorcio Ecuatoriano de Telecomunicaciones
S.A. v. JAS Forwarding (USA), Inc., No. 11-12897, 2014 WL 104132 (11th Cir.
2014) (CONECEL II)).
by: Ralph Burgwald, BridgehouseLaw LLP, Atlanta, GA
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