Manchmal, wenn Cecilia Malmström, EU-Handelskomissarin,
über die TTIP-Verhandlungen spricht, bemüht die EU-Handelskommissarin
einen alten Witz: Jemand hat sich verfahren und fragt mitten im
Nirgendwo einen Einheimischen, wie er von hier am besten zu seinem Ziel
komme. "Sie sollten von woanders losfahren", kommt als Antwort.
Diesbezüglich und über den Begriff 'Chlorhühnchen' kann die liberale
Schwedin mittlerweile nur noch schmunzeln.
Ernster nimmt sie Kritik an den hochumstrittenen Schiedsgerichten, die der Handelsvertrag schaffen soll. Vor den privaten Gerichten - ISDS im Fachsprech - könnten Investoren Staaten verklagen, wenn sie mit ihren Entscheidungen vermeintlich den Wert ihrer Investitionen beschädigen.
Statt staatlich ausgewählter Richter sprechen dort spezialisierte
Anwälte die Urteile. Alleine Deutschland verwendet ISDS in rund 140
Handelsverträgen. Kritiker halten die Praxis jedoch für undemokratisch und fürchten, die Tribunale könnten Investoren für die Folgen politischer Entscheidungen Milliardensummen zugestehen.
Malmström ist in einer misslichen Lage. Die Regierungschefs drängen die Kommissarin, die TTIP-Gespräche bis Jahresende weitgehend abzuschließen
- einen Zeitplan, den Experten ohnehin für illusorisch halten. Als das
Thema beim EU-Gipfel vergangene Woche aufkam, beschwerten sich jedoch
nur zwei Regierungschefs kleinerer Länder über die Schiedsgerichte. Die
große Mehrheit ist weiterhin für TTIP, laut dem jüngsten Eurobarometer unterstützt auch die Bevölkerung in allen EU-Staaten ein Freihandelsabkommen mit den USA - bis auf drei Länder.
Darunter
ist allerdings auch Deutschland: Auf die "Paralleljustiz für
Investoren" schimpft etwa Thilo Bode, Chef der Verbraucherorganisation
Foodwatch. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel drängt auf die Schaffung eines öffentlichen Handelsgerichtshofs. In der "Süddeutschen Zeitung" erklärte der SPD-Chef, er sei "absolut sicher", dass es "keine Privatisierung der Schiedsgerichtsbarkeit"
geben werde - wohlwissend, dass seine Partei gebraucht wird, wenn das
Abkommen im Bundestag und Europaparlament ratifiziert werden soll.
Einerseits glaubt Malmström an die Vorteile des Abkommens mit den USA, nicht nur von Amts wegen. Eine Einigung über niedrigere Zölle und die Angleichung von Regeln für Airbags, Autoblinker und Klimaanlagen sollen neue Jobs schaffen,
aber auch ein geopolitisches Signal senden: Die USA und Europa haben
sich auch in Zeiten von NSA nicht völlig auseinandergelebt. "Putin würde
TTIP nicht mögen", sagte die EU-Kommissarin kürzlich.
Andererseits geht sie auf Gabriel und andere Kritiker zu. Den EU-Handelsministern stellte sie Ideen vor, wie die Schiedsgerichte verbessert werden könnten.
So will sie das "Recht zur Regulierung" in den Vertrag schreiben: Staaten sollen für Gesetze wie etwa den Atomausstieg keine Entschädigungen zahlen müssen, wenn sie damit legitime politische Ziele
verfolgen - selbst wenn sie die Konzerne viel Geld kosten. Ein
Berufungsverfahren, das viele ISDS-Verträge bislang nicht vorsehen, soll
mit TTIP eingeführt werden.
Um zu verhindern, dass die Teilzeit-ISDS-Richter mögliche spätere Klienten bevorzugt behandeln, sollen Regierungen eine Liste mit vertrauenswürdigen Anwälten führen, die vor einem Schiedsgericht auftreten dürfen.
Malmström will sich dafür einsetzen, dass Kläger zwischen nationalen Gerichten und ISDS-Gerichten wählen müssen, um nicht beide Rechtswege ausprobieren zu können.
Auch
Gabriels Handelsgerichtshof kann sie sich, wenn auch noch nicht zur
Einführung des TTIP, durchaus vorstellen. Gabriel müsste sich demnach
aber zunächst mit einer Übergangslösung zufrieden geben.
Zudem ist nach wie vor völlig unklar, ob die USA für solche Ideen überhaupt gewonnen werden können.
Malmström hat also einen Sommer voller Arbeit vor sich, soll die Deadline tatsächlich nicht nur Fiktion bleiben...
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